Als Otto Lederer am 17. Mai 1977 nach schwerer Krankheit starb, starb auch ein Stück Waldtrudering, wie HALLO in seinem ergreifenden Nachruf am 26. Mai 1977 schrieb. Der Nachruf füllte die komplette Titelseite von HALLO und wird hier auszugsweise wiedergegeben. Die Fotos stammen vom Stadtteilarchiv des Truderinger Kulturkreises e. V..
Ein Stück Waldtrudering ist von uns gegangen. Nach langem Wirken, das eng mit der Entwicklung des Stadtteils Waldtrudering und mit dem Weg der Gemeinde Christi Himmelfahrt verbunden war, hat Herr Prälat Stadtpfarrer Otto Lederer am 17. Mal 1977 nach schwerem Leiden von uns Abschied genommen.
Otto Lederer wurde am 20. September 1905 als drittes von vier Kindern des Zimmerers Johann Lederer und seiner Frau Maria in München geboren. In der Pfarrei Herz Jesu in Neuhausen wurde er getauft. Er studierte In Freising. Kardinal Faulhaber weihte ihn am 29. Juni 1929 zum Priester. Die Primiz feierte er in St. Wolfgang. Nur kurz war er als Kaplan in Gilchinq und Aubing, bevor er 1930 seine Tätigkeit in Trudering begann.
Unter Pfarrer Gottschalk wirkte er in der Pfarrei St. Peter und Paul vor allem als Jugendpräses. Sehr bald sah er eine wesentliche seelsorgliche Aufgabe in der Betreuung der Siedlung der Kolonie Trudering (Waldtrudering), die damals noch zum Pfarrsprengel St. Peter und Paul gehörte: Zusammen mit Kaplan Mathes (später Caritasdirektor) arbeitete er schon frühzeitig im 1927 gegründeten Kirchenbauverein Christi Himmelfahrt mit. Pfarrer Gottschalk glaubte nicht recht an den Erfolg seiner Bemühungen: "In Waldtrudering werd' a Kirch' baut? Aber des is doch zwecklos , da wohna doch lauta Heidn drauß. Von dene geht eich koana in d' Kirch nei."
Ab 1932 hielt Kaplan Lederer, nachdem Trudering mit der Kolonie nach München eingemeindet worden war, in der Notkirche auf dem Platz der heutigen Schule an der Turnerstraße sonntags Gottesdienst. Diese Eucharistiefeiern mit Kaplan Lederer - bei schönem Wetter stets im Freien - waren für die junge Gemeinde ein tiefes Erlebnis. Am 12. November 1933 wurde die Kirche an der Waldschulstraße geweiht. Herr Kaplan Lederer wurde als Kurat angewiesen. Er kannte damals noch jeden in der Gemeinde. Sie zählte ca. 2000 Katholiken. Waldtrudering wuchs rasch, aus der Kuratie wurde 1941 eine Stadtpfarrei. Stadtpfarrer Otto Lederer prägte diese Gemeinde durch die Verfolgung im Dritten Reich (...mehr), durch die Wirren das Krieges und in der Zeit des ungestümen Wachsens WaIdtruderings in den Nachkriegsjahren.
Er war mit Waldtrudering und seiner Kirche eng verbunden. Bewußt verstand er sich als geistlicher Vater der Gemeinde, die er gern "Pfarrfamilie" nannte. Ungezählten Menschen ist er als Priester begegnet. Viele Häuser hat er eingeweiht, viele Ehen gesegnet, viele junge Menschen hat er getauft, vielen in der Schule den Weg des Glaubens gewiesen; vielen Menschen hat er am Grabe Trost gespendet. Wer ihn kannte, schätzte ihn als einen Menschen, der beharrlich das Gewachsene und Bestehende verteidigte und doch auch behutsam und verständnisvoll dem Neuen aufgeschlossen war. Vorschläge und Meinungen seiner Mitarbeiter nahm er an, wenn er darin echtes Engagement für das Reich Gottes erkannte.
Als Bauherr hat Stadtpfarrer Otto Lederer nach und nach das Pfarrzentrum an der Waldschulstraße aufgebaut. Der 1933 fertiggestellten Kirche folgte in den Jahren darauf dle Innenausstattung (Seitenaltäre, Orgel), 1955 entstanden der Verbindungstrakt (Jugendheim) zwischen Kirche und Pfarrhaus und 1964 das Pfarrhelm. Im Jahre 1973 paßte er den Altarraum der Kirche den modernen Erfordernissen der Liturgie an, und 1975 wurde der Pfarrkindergarten mit der gemeindeeigenen Kegelbahn fertiggestellt.
In Würdigung seiner Persönlichkeit wurde er 1958 zum Dekan im Dekanat München-Nordost und 1967 im Dekanat München-Truderinq gewählt. 1962 erhielt er den Titel "Geistlicher Rat". Beim Pfarrjubiläum 1973 - und damit zu seiner 40jährigen Tätigkeit In der Gemeinde - wurde er mit dem Titel eines Päpstlichen Ehrenprälaten ausgezeichnet. Bundespräsident Walter Scheel verlieh ihm 1975 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Vielen in Waldtrudering wird er in Erinnerung bleiben. Fast 43 Jahre hat Prälat Otto Lederer in der Gemeinde Christi Himmelfahrt gewirkt. Sein ganzes Priesterleben gehörte fast ausschließlich ein und derselben Gemeinde. Mit seinen Eltern und inmitten all derer, an deren Grab er selbst gestanden ist, ruht er nun im Riemer Friedhof. Mit seinem Tod ist ein Stück Geschichte der Kirche in Waldtrudering, aber auch ein großer und wichtiger Abschnitt des rund 70 Jahre alten Waldtruderings, zu Ende gegangen.
Der obige Beitrag entstammt dem HALLO vm 26.5.1977. Insbesondere die Autorin Vera Sprau hat in ihrem Beitrag "Die verdrängte Zeit des Nationalsozialismus" für das Stadtteilbuch "Trudering, Waldtrudering, Riem - Münchens ferner Osten" dargestellt, dass Otto Lederer als Pfarrer ins Visier der Nationalsozialisten kam. Sie schreibt auf S. 132: "So wurde z. B. der beliebte Seelsorger von zunächst St. Peter und Paul in Kirchtrudering, dann von Christi Himmelfahrt in Waldtrudering, Pfarrer Otto Lederer, 1941 wegen 'staatsfeindlicher Äußerungen' in Schutzhaft genommen. [..] Der Bruder des Geistlichen, Karl Lederer, war übrigens ein hoher Funktionär der NSDAP."
Vera Sprau hat auch herausgefunden (S. 149), dass Pfarrer Lederer bei der jüdischen Bildhauerin Ilse von Twardowski die Figur des Büssers beauftragt hat, die noch heute in der Pfarrkirche Christi Himmelfahrt steht.